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Parkinson schlägt Zwangsstörung: Wie ein körperliches Leiden eine psychische Erkrankung verdrängt

38-jähriger Betroffener schildert Zusammenhänge mit den Neurotransmittern Serotonin und Dopamin

Wie gehen Menschen mit einer Multimorbidität um? Und was bedeutet es, wenn zu einer psychischen Erkrankung plötzlich auch ein somatisches Leiden in den Lebensalltag tritt? Dass zwischen Körper und Seele untrennbare Zusammenhänge bestehen, ist seit langem bekannt. Dass ein Gebrechen ein anderes verdrängen und damit nahezu unbewusst von jahrelanger Pein befreien kann, weiß der Leiter der Selbsthilfeinitiative zu „Parkinson in jedem Alter“, Dennis Riehle (Konstanz), nur allzu gut. Er litt seit der frühen Pubertät an mannigfaltigen psychischen Störungen – insbesondere einer Zwangserkrankung, generalisierten Angststörung, Psychose und Depressionen – und befand sich über Jahrzehnte mit wechselndem Erfolg in psychotherapeutischer wie psychopharmakologischer Behandlung. Doch im Alter von 35 Jahren erreichte ihn zusätzlich die Diagnose der Schüttellähmung – und veränderte daraufhin auch die Durststrecke, in Sachen seelischer Gesundheit kaum vorangekommen zu sein. Zwar hatte er bereits durch Antidepressiva der neueren Generation – sogenannte „Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) – Fortschritte erzielen können. Doch die Wucht der Parkinson-Erkrankung traf ihn derart heftig, dass sich seine psychische Symptomatik plötzlich in den Hintergrund verabschiedete. „Ja, ich erinnere mich noch sehr genau: Vor ziemlich genau 25 Jahren wurden Zwangsgedanken und Zwangshandlungen zu einem Wegbegleiter, auf den ich gut hätte verzichten können. Andersherum schien man das aber wohl nicht so zu sehen und deshalb wasche ich mir heute noch immer 30 Mal am Tag die Hände oder kontrolliere die Haustür beim Abschließen weiterhin 10 Mal. Immerhin konnte ich meinen unliebsamen Partner damit aber schon zu zwei Dritteln aus meinem Alltag verbannen, denn heute reichen mir drei Stunden täglich, in denen ich mich mit den Zwängen wohl oder übel befassen muss. Ich fragte mich: Steckt dahinter ein tatsächlicher Therapie-Erfolg? Oder ist einfach jemand Neues in mein Leben getreten, der den Zwängen ihre Position streitig macht? Auf den ersten Blick könnte man dies zumindest vermuten, denn seit ich 2020 an der neurologischen Bewegungsstörung erkrankt bin, widme ich mich insbesondere körperlichen Beschwerden. Nicht mehr die Pflastersteine zählen oder 18 Stunden täglich grübeln. Stattdessen versuche ich mich heute an gänzlich anderen Herausforderungen: Dass ich morgens sicher aus meinem Bett aufstehen kann (nicht, weil ich vielleicht depressiv wäre, sondern weil über Nacht bleierne Muskelsteifigkeit über mich hereingebrochen ist), dass ich beim Kaffeetrinken vor lauter Zittern die Tasse in der Hand behalte oder dass ich bei der Langsamkeit meiner Bewegungsabläufe nicht irgendwann stehenzubleiben drohe“, beschreibt Dennis Riehle sein Dasein heute. „Sicherlich sind die Zwänge nun an die zweite Stelle gerückt. Dabei gefällt ihnen das gar nicht. Denn wer sie kennt, weiß selbst ganz genau: Sie fordern ständige Aufmerksamkeit von uns. Wenn sie nicht mehr im Mittelpunkt stehen, rebellieren sie eigentlich. Doch ich kann davon bislang nichts feststellen. Der Parkinson hat den Zwang zurückgedrängt – und offenbar hat er sich das auch gefallen gelassen. Möglicherweise spielt dabei auch die für die Therapie des Parkinson notwendige Dopamin-Einnahme eine entscheidende Rolle. Denn seit Beginn dieser Behandlung hat sich die psychische Verfassung erheblich stabilisiert und es ist kaum mehr zu schweren Rückschlägen gekommen. Stattdessen zeigt sich das seelische Wohlbefinden insgesamt in einer großen Kontinuität“, bemerkt der Coach vom Bodensee.

„Diese Erkenntnis erstaunt ganz mich besonders, denn ich hatte immer gedacht, dass sich die Zwangsstörung nie den ersten Rang streitig machen lässt. Ob ich mit der Konstellation jetzt zufriedener bin, kann ich hierbei nicht wirklich sagen. Während der emotionale Leidensdruck bei der Zwangserkrankung deutlich höher war, plagen mich nun die Sorgen um meinen körperlichen und geistigen Verfall und es ängstigt, welch schwierigen Verlauf die Schüttellähmung in den nächsten Jahren wohl nehmen wird. Während ich bei den Zwängen trotz all ihrer Bedrohlich- und Aufdringlichkeit fast nie das Gefühl des vollständigen Kontrollverlusts über die Psyche und mich hatte, ist es jetzt anders. Wenn mich der Parkinson vor handfeste Halluzinationen stellt, mich bis zur absoluten und schmerzhaften Unbeweglichkeit schikaniert, meine Stimme schwach macht, mich nur noch in Zeitlupe voranschreiten lässt, ich mich durch ihn ständig verschlucke und keine aufrechte Sitzhaltung mehr einnehmen kann, meine Muskeln sich verdrehen und verkrampfen und ich morgens kaum noch sicher sein kann, ob ich weiß, wie ich die Kaffeemaschine bedienen und die Zahnbürste benutzen muss, frage ich mich schon, ob es dann nicht einfacher gewesen ist, Zwängen zu entgegnen, die zwar mein Denken und Handeln verändert hatten, aber mich in der Persönlichkeit und Integrität kaum antasteten. Schlussendlich wohl irgendwie eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Sie relativiert aber keinesfalls die unheimliche seelische wie auch soziale Belastung, die mit der Zwangsstörung einhergegangen war und lange geblieben ist. Als Quintessenz formuliert Riehle noch: „Ritualhaftes Denken und Handeln hat im Dasein von uns Betroffenen allzu viel Freiräume, sich dort genüsslich ausbreiten zu können. Erst, wenn wir den Zwängen ein Gegengewicht entgegenstellen und sie damit nicht mehr die erste Geige spielen lassen, sind sie doch genötigt, die Umkehr anzutreten. Denn ihr so forderndes Naturell nach dem Rampenlicht auf der Bühne unseres Alltags verträgt sich nicht damit, ihnen unsere Konzentration zu entziehen. Denn Zwänge speisen sich vor allem aus der Fokussierung, mit der wir uns ihnen zuwenden. Bauen wir uns deshalb ein Pendant zur Zwangsstörung, das in der Lage ist, sie neidisch zu machen. Entziehen wir ihr die Macht und den Einfluss, indem wir unser Bewusstsein neu kanalisieren. Was bei mir der Parkinson gewesen sein mag, das kann für Andere ein stabiles, erfüllendes Hobby oder eine Beschäftigung sein. Oder eine sinnstiftende Beziehung zu Freunden und Bekannten, Partner oder Familie. Ein ausfüllender Alltag mit viel Ablenkung und fordernden Komponenten. Glaube oder Wissenschaft, Politik oder Philosophie. Mit Themen, die uns wirklich interessieren und fesseln können. Die obligatorische Therapeutenfrage ist durchaus zu Recht: Was würden wir denn den ganzen Tag tun, wenn wir plötzlich keine Zwänge mehr hätten?“, resümiert der Sozialberater zusammenfassend, der von 2005 bis 2015 eine Selbsthilfegruppe zu Zwängen, Phobien und Depressionen führte und diese nach Auflösung durch das ehrenamtliche Angebot zur Mailberatung für Betroffene und Angehörige ersetzt hat.

Die Psychosoziale Beratung der Selbsthilfeinitiative ist kostenlos unter www.selbsthilfe-riehle.de erreichbar.

 

Hinweis: Diese Pressemitteilung darf – auch auszugsweise – unter Wahrung des Sinngehalts und Erwähnung des Urhebers verwendet werden.

 

Bildmaterial im Anhang (zur freien Verwendung): Dennis Riehle

Fotos in höherer Auflösung oder größerem Format können jederzeit angefordert werden.

Dennis Riehle

Psychologischer, Sozial-, Familien-, Integrations- und Ernährungsberater

Grundlagenmedizin (zertifiziert), Digitale Prävention und Gesundheitsförderung (zertifiziert)

Öffentliches, Bürgerliches, Pflege-, Personal- und Sozialrecht (zertifiziert)

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