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TOXINS 2015: BOTULINUMTOXIN-WELTKONGRESS IN LISSABON

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Basic Science and Clinical Aspects of Botulinum and other Toxins, kurz Toxins 2015, der Weltkongress für Botulinumtoxin in Lissabon: Über 800 Teilnehmer aus allen Kontinenten, neueste Forschungsergebnisse aus klinischer und vorklinischer Forschung.

Wir sprachen mit Professor Dr. Dirk Dressler, Gründungsdirektor der International Neurotoxin Association, die diesen Kongress veranstaltet hat.

 

IAB: Professor Dressler, Sie sind Veranstalter von Toxins 2015. Was macht diesen Kongress so einzigartig?

DD: Die Toxins-Meetings sind der Weltkongress für alle, die sich mit Botulinumtoxinen beschäftigen. Das sind die unterschiedlichsten klinischen Anwender in Neurologie, Rehabilitation, in Pädiatrie, Urologie, HNO, Dermatologie und Schmerztherapie. Das sind aber auch all die vorklinischen Forscher in Food Safety, Biodefense und Molekularbiologie. Ziel der Toxins-Meetings ist hier einen Austausch zwischen beiden Gruppen zu organisieren. In dieser Weise sind die Toxins-Meeting weltweit einzigartig.

IAB: In aller Kürze: Was waren die wesentlichsten Entwicklungen in den klinischen Fächern?

DD: In der Urologie hat sich die Zahl der Indikationen erneut erweitert. In der Schmerztherapie wurde die Wirksamkeit von Botulinumtoxin bei der Behandlung der Migräne in weiteren Studien bestätigt. Der ästhetische Einsatz von Botulinumtoxin stabilisiert sich auf hohem Niveau.

IAB: Und in der Neurologie?

DD: In der Neurologie haben sich erfreulicherweise die neuen Behandlungs-Algorithmen durchgesetzt, die wir in den letzten Jahren erarbeitet haben. Im Rahmen unseres Forschungs- und Entwicklungsprogramms haben wir zunächst zeigen können, dass es eine Notwendigkeit zur Flexibilisierung der Behandlungsintervalle gibt, da bei einer erheblichen Anzahl von Patienten die Wirkung der Botulinumtoxin deutlich kürzer ist als die immer noch angewendeten starren 3-monatigen Behandlungsintervalle. Für uns erstaunlich: In all den Jahren, in denen die Botulinumtoxin-Therapie praktiziert wird, hat sich niemand um diesen für die Patienten so entscheidenden Punkt gekümmert. Darüber hinaus haben nachweisen können, dass deutlich höhere Dosen angewendet werden können, ohne dass es Risiken im Sinne einer systemischen Toxizität oder eines erhöhten Antikörperrisikos gibt. Damit können jetzt deutlich mehr Patienten von einer Botulinumtoxin-Therapie profitieren, bevor invasive Behandlungsverfahren wie die Tiefe Hirnstimulation in Betracht gezogen werden müssen. Allerdings liegen auch diese Daten vorerst nur für die Verwendung von niedrig-antigenen Botulinumtoxin-Medikamenten der zweiten Generation vor.

IAB: Wie geht hier die Entwicklung weiter?

DD: In der Zwischenzeit haben wir Daten erheben können, die zeigen, dass bei Verwendung von niedrig-antigenen Botulinumtoxin-Medikamenten auch bei kürzeren Behandlungsintervallen keine Antikörper-Probleme auftreten. Wo nötig, können jetzt erstmalig verkürzte Behandlungsintervalle in der Routinebehandlung empfohlen werden.

IAB: Gab es auch wieder Vorträge zur Ultraschall- oder Elektromyographie-gesteuerten Botulinumtoxin-Applikation?

DD: Ja, dieses Thema wurde erneut behandelt, ohne dass allerdings neue Aspekte deutlich geworden wären. Nach wie vor fehlt der Nachweis, dass durch den Einsatz dieser Verfahren die Behandlungsergebnisse tatsächlich verbessert werden können. Selbst beim Schreibkrampf, bei dem der Einsatz dieser Verfahren allgemein anerkannt ist und wo positive Effekte wahrscheinlich sind, fehlen entsprechende Nachweise.

IAB: Was ist ihr Resumee des Kongresses?

DD: Ich habe mit großer Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass die wesentlichen Impulse bei der klinischen und vorklinischen Forschung aus Europa kommen. Insbesondere Deutschland hat sich erneut als einer der stärksten Player herausgestellt. Leider hat sich das bei der Auswahl der meist US-amerikanischen Referenten nicht widergespiegelt. Das war ein Kritikpunkt bei vielen Teilnehmern und muss bei den nächsten Kongressen auf jeden Fall verändert werden.

IAB: Wie hat sich der Botulinumtoxin-Standort Hannover geschlagen?

DD: Hannover ist das weltweit aktivste Botulinumtoxin-Cluster. Neben der exzellent besetzten Vorklinik mit den MHH-Instituten für Physiologische Chemie und Toxikologie und der Firma Toxogen haben wir unsere Rolle als einer der weltweit größten Botulinumtoxin-Anwender weiter konsolidieren können. Mit über 10 Präsentationen waren wir die aktivste akademische Institution des Kongresses. Dies ist ein schöner Erfolg. Es ist aber auch eine große Herausforderung, diese Spitzenstellung zu verteidigen.

IAB: Was war ihr persönliches Highlight?

DD: Für mich persönlich war der Auftritt von Alan B. Scott das ganz besondere Highlight des Kongresses. Dr. Scott ist der Erfinder der Botulinumtoxin-Therapie. Es war uns deshalb ganz besonders wichtig, sein Lebenswerk für alle sichtbar zu würdigen. Ohne seine bahnbrechende Idee wäre Botulinum nach wie vor lediglich ein Negativ-Thema für die Lebensmittelhygiene und die Wehrwissenschaft. Dr. Scotts Beitrag zur Medizingeschichte ist umso bedeutender, als er wirklich als Einzelkämpfer seine genialen Ideen verfolgt hat und damit einen gigantischen Erfolg gehabt hat. Damit ist er für alle jungen Forscher ein wunderbares Beispiel, wie ein brillanter Intellekt und eine Vision die Welt verändern können.

 

International Neurotoxin Association (INA)

Gründung: 2011

Non for Profit-Organization

Ziele: Organisation der Toxins-Kongresse Förderung der Forschung über Botulinum und andere Neurotoxine

Sitz: New York City, NY, USA

Homepage: www.neurotoxins.org/